Interviews

Interview mit Ismet Hesen - Verteidigungsminister von Kobane

Ismet Hesen
Wie ist es dazu gekommen das die YPG Kobane vom IS befreien konnte?

Es gab eine moralische Wende in der Auseinandersetzung um Kobane, als sich 12 KämpferInnen der YPG/YPJ in einer Schule nahe Tal Abyad verteidigten, um weiteren Einheiten strategisch wichtige Schritte zu ermöglichen. Letztendlich sprengte die Einheit sich in die Luft, um dem IS nicht lebend in die Hände zu fallen. Auch das Arin Mirkan sich opferte und sprengte, um den IS vor Kobane aufzuhalten, gab uns große Kraft und Moral, auch wenn wir um diese wertvollen Menschen, wie um jeden Gefallenen, trauern. Daraufhin haben wir beschlossen Widerstand bis zum Letzten zu leisten und Kobane nicht aufzugeben. Die Menschen in Rojava und die Kurden haben ein hohes politisches Bewusstsein entwickelt und werden sich nicht mehr unterdrücken lassen.

Mittlerweile hat sich die Situation stabilisiert. Die Türkei eskaliert die Situation allerdings an mehreren Orten. Ministerpräsident Davotoglu kündigte zum Beispiel an, dass die Türkei nicht zulassen werde, dass die YPG Jarabulus einnimmt, den letzten Grenzübergang des IS mit der Türkei. Was sagen Sie dazu?

In diesem Zusammenhang ist wichtig zu wissen, dass Jarabulus auf syrischem Boden liegt. Völkerrechtlich gesehen, ist also der Wille der syrischen Bevölkerung ausschlaggebend und eine Einmischung inakzeptabel. Rojava ist auch ein Teil Syriens und die YPG/YPJ in der Lage den stärksten Widerstand gegen den IS zu leisten. Gemeinsam mit einem Bündnis der demokratischen Opposition können wir Frieden und Demokratie in dieser Region Syriens gewährleisten.

Die Revolution von Rojava entfaltet sich momentan wie eine Blume. Trotz Angriffen von allen Seiten wird eine basisdemokratische Gesellschaft aufgebaut in der sämtliche Bevölkerungsgruppen zusammenleben. Was funktioniert bisher gut, an welchen Stellen gibt es Schwierigkeiten?

Kobane ist zu einem großen Teil zerstört. Das größte Problem ist, dass wir nicht die Mittel haben, um die Stadt und die Provinz so aufzubauen, wie wir es gerne hätten. Seit drei Jahren ist Rojava von feindlich gesinnten Kräften umzingelt und mit einem Embargo konfrontiert. Wir wollen nicht nur die zerstörten Häuser wieder aufbauen, sondern eine Gesellschaft entwickeln in der alle Bevölkerungs- und Religionsgruppen respektvoll zusammen leben können. Der Aufbau der Gesellschaft funktioniert schon recht gut. Wir bilden Kommunen und Rätestrukturen und geben allen Menschen die Möglichkeit sich an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Wir haben auch Friedens- und Versöhnungskomissionen gebildet.


Wie kann das Embargo gegen Rojava aufgehoben werden?

Wir leisten den Widerstand gegen den menschenfeindlichen IS nicht nur für die Menschen in Rojava, sondern zum Wohl der Region und der Welt. Deshalb sollten sämtliche demokratischen Akteure Druck ausüben, damit das Embargo seitens der Türkei und der kurdischen Autonomieregion aufgehoben wird. Für den materiellen Aufbau brauchen wir auf allen Ebenen Hilfe. Die Wasserversorgung sowie die Stromversorgung liegen in Kobane weitgehend brach, es fehlt an Medikamenten, Baustoffen und Vielem mehr. In der Stadt Kobane lebten und leben mehr als 90% KurdInnen, in der Provinz sind die Anteile der Bevölkerungsgruppen anders. Hier leben auch viele AraberInnen, ChristInnen, TurkmenInnen und EzidInnen. Zum Wiederaufbau von Kobane brauchen wir weltweite Unterstützung. Es war schon seit 1916 so, dass die KurdInnen unterdrückt wurden und zum Beispiel in der Türkei, dem Irak, Syrien und dem Iran nicht einmal frei ihre eigene Sprache sprechen und ihre Kultur leben durften. Nun haben wir in Kobane um unsere Rechte gekämpft. Der IS wollte diese Stadt mit aller Gewalt vernichten, um die KurdInnen moralisch zu brechen und so die Entwicklung von Rojava zu bremsen.

Am 25. Juni hat sich in Kobane ein Massaker ereignet. Was ist passiert?

Kämpfer des IS haben dieses Massaker begangen. 265 Menschen wurden von den
Opfer des Massakers des IS
Terroristen in der Nacht wehlos in ihren Wohnungen erschossen. Die IS Kämpfer kamen um 4:30 Uhr ungehindert als YPG verkleidet über die offizielle Grenze. Sie hatten sich zuvor ihre Bärte abrasiert. Über Funk haben unsere Asayisha (Innere Verteidigungskräfte) mitbekommen, dass der IS „angreifen“ will. Es hat insgesamt zwei Tage gedauert, die Kämpfer des IS festzunehmen, über die Grenze zu vertreiben oder zu töten. Es handelt sich bei dem Massaker um ein grausames Kriegsverbrechen. Kleine Kinder und Alte Menschen auf eine solch menschenverachtende Weise umzubringen hat mit nichts mit Krieg zu tun, das ist ein Verbrechen gegen Menschlichkeit. Als wir Kobane und Tal Abyad befreit hatten, waren wir sehr froh und hatten vielleicht zu wenig Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Die Regierung Erdogan/Davotoglu unterstützt den IS jedoch weiterhin kontinuierlich. Immer wieder werden auch ZivilistInnen an der türkischen Grenze erschossen. In der internationalen Presse wurde nur sehr wenig und wenn dann nicht detailliert über dieses Massaker berichtet. Die Rolle der Türkei wird noch immer verhamlost und nicht richtig eingeschätzt.





Interview mit Idris Nassan - Außenminister von Kobane
Idris Nassan

Die Volksverteidigungskräfte von Rojava YPG haben Kobane vom Islamischen Staat (IS) befreit. Ein Großteil der Stadt liegt in Trümmern. Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörungen?

Mehr als 75% der Gebäude Kobanes sind zerstört. Wir haben bereits mehr als 1.3 Millionen Tonnen Schutt entsorgt und einen gesamten Stadtteil von den Überresten der Kämpfe mit dem IS gereinigt. Momentan baut die Stadtverwaltung dort 1500 neue Häuser. Von den vorher 450.000 Einwohnern der Provinz Kobane, sind mittlerweile mehr als 155.000 wieder zurückgekehrt. Die Türkei öffnet die Grenze in Kobane allerdings nur zweimal die Woche. Der Andrang der Menschen, die zurückkehren wollen ist groß. Aufgrund des Mangels an Materialen und fehlender internationaler Unterstützung ist ein schneller und historisch korrekter Aufbau der Stadt nicht möglich. Wir können lediglich Schritt für Schritt vorgehen und müssen improvisieren. Wichtige Aspekte der Aufbauarbeit sind die Trinkwasserversorgung sowie die Traumaaufarbeitung und Stabilisierung der Menschen.

Wo leben die zurückkehrenden Flüchtlinge?

Ungefähr 120 Familien, also gut 1000 Menschen leben derzeit in Zelten, die Weiteren überwiegend in unterschiedlich weitgehend zerstörten bzw. erhaltenen Häusern. Es kommen viele internationale Delegationen nach Kobane, die Hilfe zusagen. Diese Zusagen können allerdings oftmals nicht eingehalten werden.

Besteht das Embargo durch die Türkei und die Regierung der Kurdischen Autonomieregion (KRG) gegen Rojava noch?

Ja, das ist ein großes Problem. Es werden kaum Hilfsgüter, Medikamente oder Baustoffe durchgelassen. Wenn überhaupt, dann meist verspätet und willkürlich seitens der KRG unter Barzani. Das muss sich ändern. Eine internationale Gruppe baut gerade ein Krankenhaus in der Stadt auf. Derart konkrete Hilfe ist sehr wertvoll. Von zuvor 15 Schulen haben wir sieben wieder geöffnet. Auch hier fehlt es an Materialien. Die Türkei spielt eine sehr destruktive Rolle. Hilfsgüter werden blockiert und immer wieder werden Menschen an der Grenze verletzt oder erschossen, noch immer der IS über die Grenze gelassen. Im Sommer begingen IS Kämpfer, die ungehindert die Grenze passieren konnten, ein Massaker und erschossen Nachts 265 Zivilisten in ihren Häusern, darunter viele Kinder und Alte. In den letzten Tagen beschießt die türkische Armee vermehrt Stellungen der YPG in Kobane und Tal Abyad über die Grenze hinweg mit leichten Waffen.

Der IS wurde mittlerweile weitgehend aus der Provinz Kobane vertrieben. Die Front befindet sich mehr als 60km von der Stadt entfernt. Auch Tal Abyad, der vorher zentrale Grenzübergang des IS mit der Türkei wurde befreit. Welche Probleme gibt es in den ländlichen Regionen der Provinz?

Insgesamt ist die Lage stabil. Die YPG dringt immer weiter in Richtung Westen nach Jarabulus vor, dem letzten Grenzübergang des IS mit der Türkei. In der Provinz Kobane leben die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft. Das größte Problem sind die Minen, die der IS auf den Feldern hinterlassen hat. Uns fehlt es an Technik diese großflächig zu entsorgen. Obwohl die UN uns Hilfe zugesagt hat, wird diese noch nicht gegeben. Immer wieder sterben Kinder und Erwachsene durch explodierende Minen, erst letzte Woche zwei Kinder. In der Stadt selber konnten wir Minen und Sprengfallen mittlerweile entsorgen.

Wie funktioniert das Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Kobane?

In der Stadt Kobane lebten und leben mehr als 90% Kurden. Deshalb hat der IS hier auch derart gewütet und mit allen Mitteln auf die symbolische Eroberung der Stadt gesetzt. In den ländlichen Regionen der Provinz ist der Anteil der Araber, Armenier, Assyrer und Turkmenen größer. Wir sind dabei, gemäß dem Modell des Demokratischen Konföderalismus, Rätestrukturen in Kommunen, Stadtteil- und Dorfräten aufzubauen. Für jede gesellschaftliche Aufgabe gibt es Räte. Zum Beispiel für Gesundheit, Bildung, Wirtschaft, Gleichberechtigung, Wiederaufbau, Recht und Versöhnung. Insbesondere die Versöhnung und das Etablieren eines respektvollen Zusammenlebens aller Bevölkerungs- und Religionsgruppen ist uns wichtig. Nach dem die YPG viele Dörfer mit überwiegend arabischer Bevölkerung befreit hatte, waren die Menschen verunsichert, ob es zu Racheakten oder Vertreibungen kommen würde. Mittlerweile haben die Menschen allerdings erfahren, dass im Gegenteil Versöhnung und Zusammenleben praktiziert wird und die einzige Zukunftsperspektive ist. Ein Bericht von Amnesty International, der von Vertreibungen berichtet, wurde mittlerweile widerlegt. Wir können davon sprechen, dass Kobane aufatmet.



Interviews 2014
Interview mit Cemil Bayik, Co Vorsitzender der Gesellschaften der Gemeinden Kurdistans - KCK

Momentan greifen Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) den Kanton Kobane in Nordsyrien/Rojava von mehreren Seiten mit modernsten Waffen an. Wie ist IS entstanden?

Der Islamische Staat hat sich in der Anfangsphase als ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) überwiegend innerhalb arabischer Sunniten organisiert. Nach dem Machtwechsel im Irak zugunsten der Schiiten unter Nuri Al Maliki , hat die Unzufriedenheit der Sunniten, die unter Saddam Hussein große Privilegien genossen hatten, der Organisation einen fruchtbaren Nährboden bereitet. Viele Führungskader von IS stammen aus der Revolutionsgarde Husseins, weitere gehören den Nakschebendi an (einem sunnitischer Sufiorden dem auch R.T. Erdogan und Mesud Barzani, Regierungschef der kurdischen Autonomieregion im Nordirak angehören, Anm. der Redaktion). Später hat sich ISIS auch in Syrien organisiert. Heute sind die Zentren der Organisation in Rakka und Tal Abiad im Norden Syriens. Kämpfer rekrutiert IS hauptsächlich aus der Türkei, Tschetschenien, Nordafrika und Europa. Saudi Arabien und Katar liefern Waffen, Jordanien gewährt Freiräume zur Ausbildung. Die türkische Regierung unterstützt IS, indem sie militärische und medizinische Infrastruktur und ebenfalls Ausbildungorte zur Verfügung stellt. Zudem betreibt die Türkei intensiven Handel mit der Organisation und kauft ihr in großem Maße Öl ab.

Ezidische Flüchtlinge, die in Sengal im Nordirak von Kriegsverbrechen der IS betroffen waren, beschuldigen die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) von Mezud Barzani, sie durch ihren Rückzug aus den ezidischen Gebieten verraten zu haben. Arbeitet die KDP mit dem IS zusammen?

Wir haben erfahren, dass unter anderem Vertreter der KDP und der Regierungen der USA sowie Großbritanniens gemeinsame Vorbereitungen für die Eroberung Mossuls im Frühsommer 2014 trafen. Es gab eine Vereinbarung, die der KDP Gebiete oberhalb des 36. Breitengrades und der IS die Gebiete darunter zusicherte. IS hat sich nicht daran gehalten und versuchte auch die Kurdische Autonomieregion zu erobern. Damit hatte die KDP nicht gerechnet. Die Volksverteidigungsein-heiten aus Rojava (YPG) und die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans PKK haben, nach dem kampflosen Rückzug der KDP Peschmerga aus Sengal, den Schutz der dort lebenden ezidischen Kurden organisiert. Mehreren hunderttausend Menschen wurde so das Leben gerettet. Internationale Kräfte wollen noch immer mit Hilfe des IS die Gesellschaften im Irak, im Iran und Syrien spalten. Die KDP möchte zu einer bedeutenden regionalen Macht werden und ordnet sich deshalb dem Willen der Großmächte unter. Westliche Staaten liefern aus Eigeninteresse Waffen an die KDP. Dabei geht es wohl auch darum die PKK zu schwächen.

Können Sie die Ziele der türkischen Regierung in Bezug auf Rojava genauer erklären?

Die Türkei hat Interesse daran die Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava, in denen sämtliche Bevölkerungs- und Religionsgruppen die Gesellschaft gemeinsam gestalten, zu zerstören. An ihnen sind Kurden, die Abdullah Öcalan nahe stehen, entscheidend beteiligt. Schon seit langem fordert die Regierung Erdogan deshalb eine Pufferzone, in Rojava, um die Region zu entvölkern. Dazu ist auch geplant die UN mit einzubeziehen. Die türkische Regierung ist ein enges Bündnis mit dem IS eingegangen. Da das Ausmaß dieses Bündnisses nicht öffentlich werden darf, hat IS sie quasi in der Hand. Dorfbewohner dokumentierten jedoch, wie die Türkei über eine grenznahe Bahnstrecke nahe Tal Abaid Panzer und schwere Waffen in der Nähe Kobanes an IS lieferte. Zur gleichen Zeit ließen die Dschihadisten 49 Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats frei, die in Mossul unter Hausarrest gestanden hatten. Mit einer solch aggressiven Politik und den brutalen Angriffen auf Bevölkerung und Flüchtlinge an der Grenze zu Kobane, bei denen mehrere Menschen starben, verunmöglicht die AKP Regierung eine Fortsetzung des Friedensprozesses.

Wie ernst ist die Lage in Kobane?

Es handelt sich um den dritten schweren Angriff auf Kobane. IS hat dazu mehr als 60 moderne Panzer, Katjuscha ähnliche Raketen und weitere schwere Waffen in die Region verlegt. Wir müssen die gesamte Widerstandskraft aller Kurden mobilisieren, um die Angriffe abzuwehren. In diesem Konflikt stehen sich unterschiedliche Gesellschaftsmodelle gegenüber. Die basisdemokratische Selbstverwaltung in Rojava oder neo-koloniale Aufteilung. Das kapitalistische System profitiert von Krisen und greift die Kultur, die Würde der Menschen und die Natur an. Deshalb müssen wir langfristig denken und gemeinsam für die Menschlichkeit wirken. Probleme zu sehen und zu lösen bedeutet Freiheit. Passende Problemlösungen können allerdings nur mit einer Analyse der Hintergründe gefunden werden. 

Interview in ganzer Länge Interview in ganzer Länge


Interview mit Abdelrahman Hamu, Öffentlichkeitsreferent der Übergangsregierung des Kantons Cizire in Rojava

Die Gruppe Islamischer Staat (IS) versucht seit zwei Jahren die multiethnischen und multireligiösen demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava/Nordsyrien anzugreifen und zu zerstören. Seit Juni 2014 greifen die Dschihadisten zudem im Nordirak Kurden und Glaubensgemeinschaften wie Christen und Eziden an. Sie begehen dabei systematisch Kriegsverbrechen. Wie konnte diese Gruppe entstehen?

Die ISIS wurde seit der Intervention der USA im Irak im Jahr 2003 von unterschiedlichen
internationalen und regionalen Kräften aufgebaut und/oder geduldet. Jeder der beteiligten Akteure hatte unterschiedliche Motive zu versuchen die dschihadistische Gruppe zu unterstützen bzw. zu instrumentalisieren. Die USA wollten IS als destabilisierende Kraft in der Region installieren. Die syrische Regierung wollte sie instrumentalisieren, um die Freie Syrische Armee (FSA) zu bekämpfen und die Opposition zu spalten. Der Iran hat sich diesem Ziel als Verbündeter des Assad Regimes angeschlossen. Die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) von Mesud Barzani wollte die Öcalan nahe PYD schwächen, um in Rojava/Nordsyrien ihre eigene Position zu stärken. Die türkische Regierung wollte mit aller Macht verhindern, dass sich die selbstverwalteten Strukturen in Rojava stabilisieren, um die eigene regionale Vormachtstellung zu erhalten und eine etwaige positive Auswirkung auf das Selbstbewusstsein der Kurden im eigenen Land zu verhindern.

Waren diese regionalen und internationalen Akteure mit ihrer instrumentell orientierten Politik erfolgreich?

Nein, sie haben jeweils versucht ihre eigenen Ziele durchzusetzen und dabei die angestrebte Kontrolle über die Dschihadisten verloren, bzw. die Wirkungsweise und die Dynamik der Selbstorganisierung und Selbstfinanzierung der Gruppe unterschätzt. Die IS hat sich nicht als lenkbare Marionette erwiesen, sondern versucht ein Kalifat mit rigider Auslegung der Scharia zunächst im Irak und in Syrien und darauf folgend im Iran zu errichten. Andere Religions- und Bevölkerungsgruppen werden dabei als zu vernichtende Feinde definiert. IS betreibt eine Politik der ethnischen und religiösen Säuberungen. Die Gruppe begeht Massaker und Vergewaltigungen. Sie verkauft entführte Frauen auf Sklavenmärkten und verwehrt Frauen systematisch ihre Rechte.

Können sie etwas zur geostrategischen Lage in der Region sagen?

Insbesondere seitens der USA und weiterer westlicher Kräfte wird versucht eine eigene Version des Islam im Mittleren Osten zu etablieren. Auch dazu wurde und wird versucht die IS zu benutzen. Mit einer Art Wipeout-Strategie wird versucht andere Identifikationsmuster als den Islam, in seinen bis jetzt bekannten Ausprägungen durchsetzungsfähig zu machen. Es ist vorgesehen, dass die Menschen sich von einer derart menschenverachtenden Interpretation der Religion abwenden. Dann soll eine nicht mehr rein religiöse, sondern eine religiös-nationalistische oder eine religiös-wirtschaftsorientierte Selbstdefinition hegemonial werden.

Was ist das langfristige Ziel dieser Strategie?

Im Rahmen einer derartigen Teile und Herrsche Strategie ist angedacht die Grenzen in der Region, die 1916 im Rahmen der kolonialen Aufteilung des Mittleren Ostens gezogen wurden, neu zu ordnen. Auf diese Weise versuchen die USA und einige mit ihnen verbündete internationale und regionale Akteure neue Märkte nach eigenem Bedarf zu erschließen – oder besser gesagt zu schaffen – und die Sicherung von Ressourcen und Handelswegen zu betreiben. Es handelt sich um einen Verteilungskrieg moderner Ausprägung.

Nach den Angriffen der IS auf die Eziden in Sengal werden u.a. aus Deutschland Waffen an die KDP geliefert. Die Eziden beklagen, dass Peschmerga der KDP sie obwohl das möglich gewesen wäre nicht vor den Verbrechen der IS geschützt hat. Was denken Sie zu den Waffenlieferungen?

Stattdessen sollten die demokratischen Kräfte in der Region gestärkt werden. Das heißt, dass u.a. die Selbstverwaltung in Rojava, die ein respektvolles Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen anstrebt, anerkannt statt isoliert werden sollte. Die YPG, die Selbstverteidigungskräfte aus Rojava, haben gemeinsam mit der PKK in Sengal einen Korridor für die Eziden erkämpft, um ihnen die Flucht vor den Kriegsverbrechen der IS zu ermöglichen. Zudem bauen sie dort gemeinsam mit der Bevölkerung Selbstverteidigungsstrukturen auf. Viele Eziden wollen sich nicht vertreiben lassen, sondern ihre Existenz und Würde in dieser historischen Region verteidigen. Momentan hat sich die IS insbesondere nach den Bombardements durch die USA teilweise aus dem Nordirak zurückgezogen. Die Dschihadisten versuchen sich in Syrien neu zu organisieren, um einen weiteren Angriff auf die Kurden und die Selbstverwaltung in Rojava zu starten.